Frau Dr. Maxeiner, Mobbing ist in Unternehmen heutzutage leider Alltag. Was alles fällt im engeren Sinn hierunter?
Dr. Sandra Maxeiner: Von Mobbing spricht man, wenn Mitarbeiter von Führungskräften und Kollegen angefeindet, schikaniert oder diskriminiert werden. Sie werden gemieden und beleidigt oder Gespräche verstummen, sobald sie den Raum betreten. Ihre Aussagen werden falsch wiedergegeben, Gerüchte über sie verbreitet, Unterlagen verschwinden, Informationen werden zurückgehalten oder ihre Arbeitsleistungen ungerechtfertigt kritisiert. In einigen Fällen werden auch Drohungen ausgesprochen und mitunter kommt es sogar zu sexueller Belästigung oder körperlicher Gewalt. Wenn diese Handlungen regelmäßig und systematisch mindestens einmal wöchentlich über einen Zeitraum von einem halben Jahr stattfinden, wird dies arbeitsrechtlich als Mobbing definiert.
Wie verbreitet ist Mobbing?
Hedda Rühle: Treffen kann es jeden. Experten gehen davon aus, dass rund 1,5 Millionen Berufstätige in Deutschland gemobbt werden, etwa zwei Drittel davon sind Frauen.
Welche Folgen hat das Mobbing?
Maxeiner: Die Mobbing-Opfer leiden unter massiven psychischen Problemen und körperlichen Reaktionen, die sowohl ihre Leistungsfähigkeit als auch ihr Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen. Viele leben in ständiger Angst, sind gereizt, misstrauisch, aggressiv oder depressiv. Auch Spannungen im Privatleben, in der Familie oder im Freundeskreis bleiben nicht aus. Manche Betroffene weisen sogar Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung auf. Auch Schlafstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen sowie Magen- und Darmerkrankungen kommen häufig vor.
Wer sind die Hauptakteure beim Mobbing? Oder anders gefragt: Von wem geht dieses in der Regel aus?
Rühle: Forscher der Freien Universität Berlin haben ermittelt, dass an etwa der Hälfte der Mobbingfälle die Vorgesetzten der Betroffenen beteiligt sind. In 20 Prozent der Fälle sind sie zumindest involviert. Lediglich 30 Prozent der Vorgesetzten gaben an, von den Mobbingattacken ihrer Mitarbeiter nichts gewusst zu haben. Sie waren zwar nicht aktiv beteiligt, haben aber vermutlich nicht genau hingeschaut.
Was sollen Beschäftigte tun, die Opfer von Mobbing werden?
Maxeiner: Mobbing-Opfern rate ich, sich frühzeitig Beratung und Unterstützung zu sichern, etwa von einer Mobbingberatungsstelle oder vom Betriebs- bzw. Personalrat. Gemeinsam kann eine individuelle Strategie erarbeitet werden, um das Mobbing zu stoppen. Zu empfehlen ist auch, sämtliche Mobbinghandlungen zu dokumentieren. Das ist nicht nur entlastend für den Betroffenen selbst, sondern auch wichtig für Gespräche mit Vorgesetzten, aber ebenso für eine mögliche gerichtliche Auseinandersetzung. Erst danach sollte das Gespräch mit den Kollegen gesucht werden, von denen die Mobbing-Attacken ausgehen.
Was ist in diesen Gesprächen zu beachten?
Rühle: Gut ist es, wenn es gelingt, Wertungen und verbale Angriffe zu vermeiden. Man sollte möglichst sachlich bleiben und genau beobachten, wie die angesprochenen Kollegen reagieren. Entsteht beim Opfer das Gefühl, dass die Mobber uneinsichtig sind, sollte der Chef mit einbezogen werden. Dem Chef ist anhand von Beispielen darzustellen, wie das Mobbing erfolgt. Außerdem sollte ihm mitgeteilt werden, dass ein Gespräch mit den Kollegen ergebnislos verlaufen ist.
Ist es immer ratsam, den Chef mit einzubeziehen?
Maxeiner: Nein, nicht immer. Forscher der Freien Universität Berlin haben in einer Befragung mit über 4.000 Arbeitnehmern herausgefunden, dass sich Mobbingfälle nur dann häuften, wenn Mitarbeiter mit ihrem Chef unzufrieden waren und er selbst der Grund für das Mobbing war. Dann ist von seiner Seite keine Hilfe zu erwarten. In bestimmten Fällen kann es daher notwendig sein, arbeitsrechtliche Schritte einzuleiten.
Angenommen, der Vorgesetzte gehört selbst zu den Mobbern. Was raten Sie dann?
Rühle: Wenn der mobbende Vorgesetzte aus dem mittleren Management kommt, kann dessen Boss mit einbezogen werden. Bringt das nichts, bleibt nur die Kündigung oder der Gang zum Fachanwalt für Arbeitsrecht, um Schadenersatz und Schmerzensgeld einzuklagen.
Wie sinnvoll ist es, einen Anwalt einzuschalten?
Rühle: Selbstverständlich können Mobbing-Handlungen rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, sofern das Mobbing-Opfer bereit ist, sich zu wehren. Insofern lohnt sich immer, einen Fachanwalt für Arbeitsrecht zu Rate zu ziehen.
Wer ist in der Beweispflicht, wenn es vor Gericht geht?
Maxeiner: Es kommt ganz darauf an, ob es sich um ein zivilrechtliches und/oder arbeitsgerichtliches Verfahren handelt oder gar um ein strafrechtliches Verfahren geht. In einem zivilrechtlichen/arbeitsgerichtlichen Verfahren gilt der Grundsatz, dass der, der etwas verlangt, auch die so genannten Anspruchsvorrausetzungen beweisen muss. In der Regel trifft die Beweislast daher das Mobbing-Opfer. Allerdings hat der Kläger grundsätzlich auch das Recht auf eine richterliche persönliche - Anhörung, deren Bekundungen der zuständige Richter auch entsprechend würdigen muss. Ist der Vortrag glaubwürdig, und erwidert die gegnerische Partei nicht entsprechend überzeugend, wäre damit der Beweis erbracht.
Und wie verhält es sich in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren?
Maxeiner: Da kommt es darauf an, ob aufgrund der objektiv geschilderten Tatumstände der Richter mit hinreichender Gewissheit von einer entsprechenden Tatausführung überzeugt ist. Zentral ist daher vor allem, wie glaubwürdig die Schilderungen des Mobbing-Opfers sind.
In Rechtsforen liest man immer wieder, dass Mobbing-Opfer alles genau protokollieren sollten. Was raten Sie?
Rühle: Ja, die Protokollierung der Mobbing-Attacken sollten detailliert und umfassend sein. Dazu sind alle Vorfälle mit Geschehen, Datum, Uhrzeit und Täternamen schriftlich zu dokumentieren. Ein besonders gebundenes Tagebuch, in dem ein nachträglicher Austausch von Seiten nicht möglich ist, eignet sich vor Gericht.
Wo ist anzusetzen, wenn Unternehmen Mobbing vorbeugen wollen?
Maxeiner: Das beste Mittel gegen Mobbing ist ein Betriebsklima, das von gegenseitiger Wertschätzung und kollegialer Unterstützung geprägt ist, ein Klima, in dem die Leistung des Teams geschätzt und anerkannt wird und wo es nicht um die Leistung von Einzelkämpfern geht. Kurz: Ein Betriebsklima, in dem Intrigen, Schuldzuweisungen oder Rufmord nicht vorkommen, weil sie als unerwünscht und unsozial gelten.
Welche Rolle kommt Führungskräften in Sachen Mobbing zu
Rühle: Vorgesetzte sollten offen und direkt mit ihren Mitarbeitern kommunizieren und beobachten, wie die Angestellten miteinander umgehen. Sie sollten hinsehen, sich mit offenen Augen um das Thema Mobbing kümmern und im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht eingreifen.
Reicht das bereits?
Maxeiner: Nein, alle Probleme lassen sich so nicht sofort lösen. Doch es geht darum, dass die Vorgesetzten erkennen, dass sie für ihre Mitarbeiter ansprechbar sein müssen und durch ihr eigenes Verhalten ein gutes Beispiel für ein vertrauensvolles, konstruktives Miteinander bieten sollten. Nicht nur die betroffenen Mitarbeiter profitieren übrigens davon, wenn ein Unternehmen aktiv gegen Mobbing vorgeht, sondern auch die Chefs, die sich dafür einsetzen, denn schließlich arbeiten zufriedene Mitarbeiter eindeutig besser als frustrierte und gar gemobbte.
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Zu Dr. Sandra Maxeiner und Hedda Rühle
Dr. Sandra Maxeiner ist promovierte Politik- und Sozialwissenschaftlerin und absolvierte Ausbildungen zur Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie zum Coach. Sie ist zudem als ehrenamtliche Hospizhelferin tätig. Hedda Rühle ist Diplom-Psychologin und Dozentin für Psychopathologie, Psychologie und Psychotherapie in Berlin. Beide sind Autorinnen der Nachschlagewerke »Dr. Psychs Psychopathologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Band 1 und Band 2, erschienen im Jerry Media Verlag.
Mehr Infos finden sich unter http://dr-psych.com sowie auf der "Dr. Psych"-Facebook-Seite.